Etwa 200 Menschen sind gestern in Kiel-Gaarden gegen Abzocke durch Wohnungskonzerne wie Vonovia, hohe Mieten und Verdrängung auf der Straße gewesen.
Redebeitrag von Perspektive Solidarität Kiel auf der Mietendemo in Gaarden (02.11.2019):
Mieter*innenkämpfe organisieren, Wohnraum vergesellschaften, den solidarischen Stadtteil aufbauen!
Liebe Anwohner*innen, liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen!
In den letzten Jahren hat sich in Kiel und in anderen Städten die Wohnraumsituation zunehmend zugespitzt. Immer mehr Menschen leiden unter steigenden Mieten, Schikanen von Vermieter*innen und Wohnungslosigkeit. Wir sind heute deshalb hier auf der Straße, um gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum für alle zu kämpfen.
Dass Wohnen zu den elementarsten Grundbedürfnissen eines jeden Menschen gehört, ist allen bewusst. Trotzdem wird es immer schwieriger eine bezahlbare Wohnung zu finden. Mieten und Nebenkosten steigen permanent, der vorhandene Wohnraum ist knapp. Modernisierungen und Sanierungen führen in der Regel nicht zu einer Steigerung der Wohnqualität, sondern zu drastischen Mieterhöhungen. Folgen sind, dass Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung verdrängt werden, auf der Straße landen oder zwangsgeräumt werden.
Während den einen Wohnungslosigkeit und existenzielle Krisen drohen, treiben die anderen weitere Luxusprojekte voran. Statt Wohnraum für alle zugänglich zu machen, bewilligt die Stadt Kiel ein luxuriöses Großbauprojekt nach dem anderen, wie etwa die geplanten Hotels an der Werftbahnstraße, an der Sparkassenarena und am Bootshafen. Die Stadt nimmt dabei Gaarden besonders in den Fokus: Das „Gaarden-Hoch-Zehn Programm“ etwa sieht eine Vielzahl an Maßnahmen zur Aufwertung Gaardens vor, z.B. die Bebauung des Postareals mit Weinbergen und Reisfeldern oder die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Gaarden. So heißt es schamlos im Bericht zu Gaarden Hoch Zehn, dass es aktuell lediglich die mangelnde Sicherheit sei, die einer Aufwertung Gaardens im Wege stehe.
Aber auch dies wird nun angegangen mit der Etablierung des Kommunalen Ordnungsdienstes, der mittlerweile das Gaardener Stadtbild prägt und – so die Stadt – für mehr Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung sorgen solle. Die Erfahrungen in anderen Städten wie beispielsweise Berlin zeigen, dass solche Maßnahmen eben nicht die Wohn-und Lebensqualität der Bewohner*innen steigern, sondern die Folgen der Aufwertung vielmehr steigende Mieten, Verdrängung und Gentrifizierung sind.
Diese Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in den letzten Jahren sind kein Zufall: Das Ganze hat System. Die Immobilienbranche ist ein lohnendes Geschäft. Sie ist mittlerweile eine der umsatzstärksten Branchen in Deutschland. Wohnraum wird zur Ware, deren einziger Sinn es ist einen möglichst hohen Profit zu erwirtschaften anstatt das Grundbedürfnis nach gutem und sicherem Wohnen zu erfüllen. Das kapitalistische System in dem wir leben, öffnet Tür und Tor für Wohnraumspekulant*innen und für das Profitstreben von Wohnraumkonzernen.
Auch der deutsche Immobilienmarkt rückt in den verstärkten Fokus. Einer der größten Player im hiesigen Immobiliengeschäft ist der Konzern Vonovia. Vonovia besitzt in Kiel rund 15 000 Wohnungen, von denen viele dieser Wohnungen früher zur Kieler Wohnungsbaugesellschaft gehörten. Dass es dem Konzern lediglich um Profite geht, hat Vonovia immer wieder bewiesen: Tricksereien bei Neben- und Betriebskostenabrechnungen, keine Behebung von Mängeln, Verfall von Wohnungen– die Liste der Schikanen ist lang…
Und das ist noch längst nicht alles: Nicht vergessen dürfen wir, dass gesellschaftlich ausgegrenzte Gruppen noch stärker von den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt betroffen sind. Für Menschen mit geringem Einkommen, Leistungsbezieher*innen, von Rassismus betroffene Menschen und Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus wird der Zugang zu Wohnraum immens erschwert. Rassistische und diskriminierende Benachteiligungen sind für viele Menschen auf Wohnungssuche Alltag. Absagen für Wohnungen, weil ihr Name nicht Deutsch klingt oder weil das Ausweispapier nur für wenige Monate gültig ist, steht für viele leider auf der Tagesordnung. Wir sagen daher: Gemeinsam für bezahlbaren Wohnraum für alle! Gegen jeden Rassismus!
Auch, wenn all diese Entwicklungen unser Leben und unsere Existenzen – in unterschiedlichem Maße – beeinflussen und erschweren, werden wir steigende Mieten und Verdrängung keinesfalls kampflos hinnehmen. Der Anfang ist bereits gemacht: Es schließen sich seit Monaten immer mehr Menschen in Kiel zusammen und wehren sich gemeinsam gegen die Praxis der Vermieter*innen. Ob in Gaarden, Friedrichsort, Projensdorf oder Mettenhof – in Kiel gibt es immer mehr Mieter*innentreffen. Gemeinsam können wir unsere Erfahrungen teilen, uns unterstützen, Aktionen planen und uns Vonovia und Co. entgegenstellen.
Und das kann für uns nur der Anfang sein. Nicht nur Vonovia muss gestoppt werden, sondern der kapitalistische Wohnungsmarkt an sich. Fernab von möglichen juristischen Fallstricken und dem Aufschrei der Immobilienlobby sehen wir dafür in der Enteignung von Wohnraum einen notwendigen Schritt hin zur gerechten Stadt. Wohnraum darf nicht mehr nach Profitinteressen vergeben und gebaut werden, sondern muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Und da schon genug Rendite mit der Miete gemacht wurde, darf die Entschädigungszahlung für die enteigneten Unternehmen auch gerne ganz ausfallen. Gleichzeitig sehnen wir uns keinen starken Staat oder eine starke Kommune herbei, die den Wohnraum aufkauft und verwaltet. Zu oft hat der Staat bereits unter Beweis gestellt, dass er genauso handelt wie die kapitalistischen Akteure. Beispiele hierfür sind z.B. der Verkauf der Sozialwohnungen der Kieler Wohnungsbaugesellschaft (KWG) oder die Tatsache, dass sogar das Stadtteil-Schwimmbad in Gaarden geschlossen wurde.
Und all das ist kein Zufall, ist der Staat im Kapitalismus doch dafür zuständig, dass die Kapitalakkumulation möglichst reibungslos läuft. Deshalb muss der Wohnraum vergesellschaftet und in die Hand der Mieter*innen gelegt werden. In Hausversammlungen und Mieter*innenräten wird entschieden, was die Miete kosten soll, wann und wie saniert werden muss und wie wir zusammen leben wollen. Und wenn wir schon dabei sind, nehmen wir die gesamten Geschicke in der Stadt doch selbst in die Hand: Die Hausversammlungen schließen sich zu Straßenversammlungen zusammen und die Straßenversammlungen zu Stadtteilversammlungen bis hin zur Stadtversammlung.
Diese Vorstellungen klingen vielleicht ein wenig entfernt, sind aber dringende Notwendigkeit und Vorrausetzung, damit wir alle Leben und Wohnen können wie wir wollen. Und wir sind es, die diese Veränderungen erwirken können. Oder mit den Worten des spanischen Revolutionärs Buenaventura Durruti:
„Wir sind es, die wir die Städte und Paläste gebaut haben. Wir Arbeiter*innen können andere Städte und Paläste an ihrer Stelle aufrichten und sogar bessere. Wir haben nicht die geringste Angst vor Trümmern. Hier, in unserem Herzen, tragen wir eine neue Welt. Jetzt, in diesem Augenblick, wächst diese Welt.“
In diesem Sinne, packen wirs an!
Basta, es reicht! Schluss mit hohen Mieten und Verdrängung – Gaarden zur Danger-Zone fürs Kapital machen!
Vonovia und Co. enteignen – Wohnraum vergesellschaften! Den solidarischen Stadtteil aufbauen!