Wir sind Perspektive Solidarität Kiel,
ein neuer linksradikaler Zusammenhang, der sich 2018 gefunden und zusammengeschlossen hat, um künftig in Kiel gemeinsam Politik zu machen. Nach einem längeren Findungsprozess ist es nun soweit und obwohl uns manche schon kennengelernt haben oder uns begegnet sind, möchten wir uns noch einmal ganz offiziell vorstellen. Wir haben uns, bevor wir uns nun in die Praxis stürzen, in den vergangenen Monaten viel Zeit genommen um uns darüber auszutauschen, was für Erwartungen wir an eine gemeinsame Organisierung haben, warum wir uns überhaupt verbindlich organisieren wollen und wie und zu welchen Themen wir künftig als PSK Politik machen möchten. Die Ergebnisse und Zwischenstände aus diesem Diskussionsprozess möchten wir gerne öffentlich machen und mit Euch teilen, um einen ersten Eindruck davon zu geben, wer wir eigentlich sind und was unsere Positionen zu gesellschaftlicher Veränderung sowie der Rolle linksradikaler Kräfte innerhalb dieser sind oder unseres Erachtens sein sollten. Wir haben zu diesem Zweck ein (schriftliches) Selbstinterview geführt, bei dem wir als Einzelpersonen auf die gemeinsam erarbeiteten Fragen geantwortet und hierbei versucht haben, eben nicht nur unsere individuellen Position darzustellen, sondern einen möglichst authentischen Eindruck von den (Zwischen-) Ergebnissen unseres Konstituierungsprozesses zu geben. Über Anmerkungen, Rückmeldungen jeder Art und konstruktive Kritik freuen wir uns jederzeit. Und nun viel Spaß beim Lesen!
Es gibt also seit 2018 eine neue linksradikale Struktur in Kiel. Stellt Euch doch einmal kurz vor. Wer seid Ihr?
Paul: Moin Moin und rojbaş! Wir sind Perspektive Solidarität, ein neuer politischer Zusammenhang aus Kiel. Wir arbeiten jetzt schon etwas länger an der Gründung dieser Gruppe und haben die letzten Monate vor allem dazu genutzt, ein gemeinsames inhaltliches Grundverständnis abzustecken und in Teilen auch schon eine gemeinsame Praxis zu entwickeln. Ab jetzt wollen wir gezielter den Weg “nach draußen” suchen und dieses Interview ist quasi der öffentliche Startschuss für unser neues Projekt.
Layla: Genau. Wenn wir schreiben dass wir ein Zusammenhang sind, meinen wir damit, dass wir mehrere Menschen sind, die sich zusammengeschlossen haben um gemeinsam und verbindlich außerparlamentarische und linksradikale Politik zu machen. Das heißt wir treffen uns regelmäßig um uns auszutauschen, zu diskutieren und unsere Aktivitäten als Gruppe zu planen, zu organisieren und dann natürlich auch in die Tat umzusetzen.
Und woher kommt ihr? Also wie setzt sich Eure Gruppe zusammen, was sind Eure Hintergründe?
Paul: Das ist durchaus gemischt, aber dann auch irgendwie doch nicht. Wir sind mal mehr, mal weniger prekär angestellte Arbeiter*innen, Studierende und Mitglieder von Kollektivbetrieben. Alterstechnisch decken wir schon eine Spanne von Mitte 20 bis Ende 50 ab und geographisch kommen wir sowohl aus der ostdeutschen Platte, vom platten Schleswig-Holsteiner Land als auch aus türkischen Metropolen. Gleichzeitig kannten sich die meisten von uns aber auch schon, durch gemeinsame politische Erfahrungen und/oder Freundschaften.
Shawn: Politisch sind wir unterschiedlich sozialisiert, zum Beispiel durch Friedensdemonstrationen, Hausbesetzer*innenszene, Antifa zur Pogromzeit Anfang der 90iger (oder auch erst danach), FrauenLesben-Politik und feministische Kämpfe, Infoläden und autonome Jugendzentren, “Gipfel-Hopping”, einige haben sich mehr oder weniger autonom definiert.
Pelle: Wir vereinen derzeit mehrere Generationen an politischen Aktivist*innen. Ein Teil von uns hat nach der Auflösung der autonomen Gruppen der 1990er lokal und regional maßgeblich am Aufbau neuer beziehungsweise erneuerter linksradikaler Strukturen mitgewirkt, die teilweise heute noch existieren. Dabei war sowohl die relativ starke autonome Tradition in Kiel politisch und stilistisch prägend, genauso aber auch die Antifa-Bewegung.
Da lässt sich ja bereits heraushören, dass ihr ein recht bunt gemischter Haufen seid. Wo würdet Ihr Euch denn politisch verorten?
Shawn: Also ich persönlich: Als undogmatische Anarchistin mit starken Organisierungs- und Strukturbedürfnissen 🙂
Pelle: Wir verorten uns innerhalb laufender Debatten um den Wiederaufbau einer revolutionären Linken in Deutschland, die gesellschaftlich verankert ist. In dieser Debatte hat sich in den letzten Jahren eine interessante Mischung an Genoss*innen zusammengefunden, deren Hintergründe vielfältig sind – Kommunist*innen, Anarchist*innen, Autonome, Bewegungslinke und andere – deren Anliegen sich jedoch erstaunlich und erfreulich oft decken.
Chris: Wir haben uns (auch) damit auseinandergesetzt was für ein Verhältnis wir zum Kommunismus haben und ob wir es für sinnvoll halten mit diesem Begriff zu arbeiten. Für uns in Kiel ist Kommunismus dezentral, antiautoritär und antinational. Wir streben eine Rätedemokratie an, von unten nach oben in Räten organisiert, die es jede*m ermöglicht, gleichberechtigt über die eigenen Belange mitzubestimmen. Ein libertärer Kommunismus, frei von Herrschaft und Kapitalismus, in dem wir gemeinsam und solidarisch unseren Alltag organisieren.
Ronja: Dieser Begriff des Kommunismus entstand in der Auseinandersetzung mit der Revolution von 1918. Damals galt Kiel als besonders libertär innerhalb der kommunistischen Bewegung. Dieser historische Begriff des “Kieler Kommunismus” und unsere Perspektiven passen so gut zusammen, dass wir uns gerne auf diese historische Tradition beziehen. Ob dies nun Kommunismus oder anders genannt wird, dazu gibt es aber auch verschiedene Positionen 🙂
Also sind die inhaltlichen Divergenzen trotz des manchmal unterschiedlichen Vokabulars weit weniger groß, als es den Anschein haben könnte. Was würdet Ihr sagen beeinflusst euch politisch, also wie entscheidet Ihr euch womit Ihr Euch auseinandersetzten möchtet und was zum Thema Eurer politischen Agenda wird?
Paul: Zugegebenermaßen ist Kiel jetzt nicht gerade Hotspot von Debatten und Organisierungen der radikalen Linken. Unser Blick geht dadurch automatisch über den eigenen Tellerrand hinaus, was manchmal auch eine Stärke ist. Dabei haben wir in den letzten Jahren mit Interesse die Organisierungsdebatte in der radikalen Linken in Deutschland verfolgt und diskutiert, als auch immer wieder – direkt oder indirekt – Erfahrungen im Ausland gesammelt, z.B. in Kurdistan oder Katalonien. Dabei ist die große Frage natürlich immer, wie man diese Erfahrungen in die eigene Politik einfließen lassen kann. Perspektive Solidarität soll daher auch der Versuch sein, die gemachten Erfahrungen der gesellschaftlichen Selbstorganisierungsprozesse und des Aufbaus von Gegenmacht zu verfolgen.
Pelle: Ausgangspunkt meines politischen Handelns ist der kritische Blick mit offenen Augen und Ohren in die Welt, die mich umgibt sowie (trotzdem) eine Grundsympathie für die Menschheit. Da fließen unterschiedlichste Ebenen mit ein: Das eigene Erleben von Nazi-Einschüchterungen, der Alltagssexismus, von dem meine Freundinnen* mir berichten, mein niedriger Kontostand, obwohl ich permanent arbeite, aber genauso natürlich Berichte über die Lebensrealität in ganz anderen Teilen der Welt. Der Ist-Zustand und die reiche Geschichte des Widerstands dagegen sind mein Antrieb.
Ronja: Ich glaube, jeden Menschen beeinflussen ganz individuelle Erfahrungen, bei mir zum Beispiel das Erleben von Unterdrückung und Gewalt aufgrund meines Geschlechts und die jahrelange Unterstützungsarbeit von Geflüchteten. Vieles kann einen zermürben. Umso wichtiger ist es, – und genau das kann einen wahnsinnig Mut machenden und Kraft gebenden Einfluss haben – nicht aus den Augen zu verlieren, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die gegen patriarchale und kapitalistische Zustände kämpfen. Alltägliche Solidarität, eine lange Geschichte linksradikaler Bewegungen und aktuelle Kämpfe wie die kurdische Befreiungsbewegung beeinflussen mich positiv.
Das ist eine gute Überleitung. Könnt Ihr noch einmal erklären, was Organisierung für euch ganz persönlich bedeutet und warum ihr euch dazu entschlossen habt euch zu organisieren?
Paul: Ganz simpel beantwortet, natürlich weil man zusammen mehr erreichen kann. Dabei sehe ich politische Organisierung auch als zentralen kollektiven Prozess gegen kapitalistische Vereinzelung. Ein Prozess mit dem man sich einen Rahmen schafft, um gemeinsam inhaltliche Positionen, gesellschaftliche Veränderungen und politische Strategien zu reflektieren und dabei eine Handlungsfähigkeit zu entwickeln, sowohl im Sinne mal eine Demo gemeinsam zu wuppen, als auch sich einer Ohnmacht entziehen zu können, in die uns das System mit all seinen Schikanen immer wieder drängt.
Shawn: Neben dem, was oben steht, bedeutet sich organisieren für mich, mehr Verbindlichkeit in politische Aktivitäten zu bringen. Ich gehe nicht einfach auf eine von irgendwem vorbereitete Demo, sondern gestalte sie und die Aussagen mit.
Pelle: Organisierung ist die strukturgebende Keinmzelle gesellschaftlicher Gegenmacht, Gegenmacht die Voraussetzung der sozialen Revolution. Die soziale Revolution, also der Bruch mit der kapitalistischen Klassengesellschaft, ist die Bedingung der Perspektive, jedem Menschen auf diesem Planeten ein würdevolles Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu ermöglichen – des Kommunismus. Für eine*n Kommunist*in ist ein Leben ohne Organisierung deshalb unvollständig.
Layla: Das klingt jetzt vielleicht etwas übertrieben, aber für mich ist die Organisierung in einer verbindlichen Struktur, die immer der Ausgangspunkt meines politischen Handelns ist, auch eine Art Überlebensstrategie in dieser wirklich verrückten Welt. Es gibt mir sehr viel Kraft zu wissen, dass ich immer Genoss*innen an meiner Seite habe und wir zusammen versuchen für unsere Idee einer solidarischen Gesellschaft zu kämpfen und einzustehen.
Ronja: Organisierung ist auch immer ein Ort des Lernens. In neoliberaler Logik lernen wir vor allem, wie wir in Konkurrenz denken und unsere persönlichen Interessen im Sinne des Marktes durchsetzen, wir lernen zu gehorchen und dort wo es geht nach unten zu treten. Organisierung ist wichtig um ein solidarisches Miteinander wieder zu lernen. Gemeinschaftliches Handeln, solidarische Kritik und Selbstkritik, Reflektion des eigenen Handelns und eine rücksichtsvolle Konfliktaustragung sind Voraussetzungen einer befreiten Gesellschaft, müssen aber erprobt und erfahren werden.
In Ordnung und warum organisiert ihr euch jetzt bei PSK? Warum habt ihr genau dieses Projekt gemeinsam angestoßen?
Shawn: In meinem Alltag zwischen Familie, Krankheit und Lohnarbeit kommt Politik leider und unbegreiflcherweise kaum vor. Ich möchte aber auch nicht, dass Ersteres mein Leben bestimmt. Zum Leben gehört immer einzugreifen, wo “Misstände” sind – diese einfach hinzunehmen wäre falsch und macht unglücklich und krank. PSK will es möglich machen, dass auch Menschen, die nur unregelmäßig oder selten an den Treffen teilnehmen können, Teil der Gruppe sind.
Pelle: Bei der Reflexion unserer politischen Praxis der vergangenen Jahre haben wir feststellen müssen, dass viele unserer Ansätze zu kurz greifen. Dies hat die Krise des globalen Kapitalismus seit 2008 uns brutal vor Augen geführt: Vor allem in den Herzen der Bestie profitieren rechte Kräfte von der sozialen Prekarisierung und der Erosion des politischen Mainstreams. Wir wollen mithelfen, der (revolutionären) Linken wieder mehr gesellschaftliche Präsenz und Handlungsmacht zu verschaffen.
Layla: Mit PSK wollen wir versuchen einige Dinge in der Art wie wir Politik machen zu verändern. Das ist für mich der Reiz an der Gruppe und auch notwendig, da wir zum Beispiel in der Struktur, in der ich vorher organisiert war, gemerkt haben, dass die Art und Weise, wie wir die Dinge angehen kein Konzept ist, mit dem wir alle noch weitere dreißig Jahre Politik machen können, weil es oft einfach zu Kraft raubend war und wir häufig auch zu wenig Leute für zu viele Aufgaben waren.
Ronja: Zudem haben wir gemerkt, dass auch innerhalb der linksradikalen Bewegung viel zu viele Grenzen bestehen und wenig Austausch stattfindet. In unserer Arbeit der letzten Monate konnten wir uns über die verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen austauschen und wollen in unserem Projekt nun gemeinsam Politik machen, um aus der Vielfalt neue Perspektiven entwickeln zu können.
Könnt Ihr uns einen groben Einblick gewähren, wie Ihr Euch als PSK organisiert?
Shawn: Es gibt regelmäßige Gruppentreffen, wo diskutiert und aktuelle Projekte besprochen werden. Zusätzlich nehmen Leute von uns an anderen (Bündnis-) Treffen teil. Manche von uns kommen jedes mal, andere nur zur Vollversammlung. Diese findet regelmäßig mit längeren Abständen statt und ist etwas anders strukturiert, um der anderen Zusammensetzung Rechnung zu tragen.
Layla: Wir wollen versuchen, auch die Genoss*innen, die aufgrund ihres Alltags nicht in der Lage sind, an allen Gruppentreffen teilzunehmen, einzubinden. Also anders gesagt, eine Struktur schaffen, in der die Teilnahme an jedem Treffen nicht Voraussetzung ist, um aktives Mitglied der Gruppe zu sein. Wir probieren gerade aus, ob eine „Vollversammlung“ hierbei hilfreich sein kann. Aber wie gesagt, wir sind da noch in der Versuchsphase.
Das war jetzt ja schon einiges drüber, wer Ihr seid und was Eure Motivation ist, gemeinsam ein Projekt wie PSK anzustoßen. Wenn wir jetzt mal etwas konkreter werden: Was sind denn eure kurz-, mittel- und langfristigen Ziele?
Paul: Vorweg ist es glaube ich erstmal wichtig zu erwähnen, dass wir überhaupt mal angefangen haben über eine etwas langfristigere Zielsetzungen zu reden. Ehrlich gesagt, habe ich auch erst in diesem Zuge und innerhalb der Debatten um die Neuausrichtung der (radikalen) Linken in Deutschland gemerkt, wie kurzfristig unsere (Kampagnen-) Politik in den letzten Jahren gedacht war (und ist). Das wir uns nie die simple Frage gestellt haben: Wo wollen wir in zwei Jahren mit dieser Politik stehen?
Pelle: Kurzfristig wollen wir die Reorganisierung der revolutionären Linken erreichen – lokal und bundesweit. Mittelfristig wollen wir als diese revolutionäre Linke die Bündelung und Fokussierung verschiedener sozialer Kämpfe und emanzipatorischer Projekte zu einem gegenhegemonialen Angriff auf den Kapitalismus. Und langfristig die soziale Revolution, also die Abschaffung der Konkurrenz und der Diktatur des Marktes und den Aufbau der staaten- und klassenlosen Gesellschaft.
Shawn: Kurzfristige Ziele auf gesellschaftlicher Ebene wären eine stärkere Verankerung des Gedankens der Solidarität und die Politisierung der Menschen. Menschen sollen erfahren, dass sich-einmischen etwas bringt, auch wenn es erst einmal politisch nicht erfolgreich scheint. Auf Gruppenebene wäre es, eine gemeinsame Strategie zu finden, die eben dieses fördert. Ein mittelfristiges Ziel könnte es sein, reale Projekte der Selbstorganisierung mit zu unterstützen und neue Bündnispartner*innen für Aktionen, etc. zu haben. Langfristiges Ziel: Meine Utopie ist eine Rätegesellschaft, in der alle Menschen nach Möglichkeit in allen Bereichen, die sie betreffen mit entscheiden: im Fabrik-Rat, im KITA-Rat, im Wohnblock-Rat, im ÖPNV-Rat, … Digitalisierung und Disziplinierung (z.B. im Sinne von “sich knapp halten” in Diskussionen) können dies möglich machen, auch wenn es erstmal nach verdammt viel Arbeit aussieht.
Ronja: Wir wollen selbstorganisierte Strukturen aufbauen und denken, dass dies dort funktionieren kann, wo wir im Alltag mit Leuten in Kontakt kommen, wo uns Probleme verbinden, die es gemeinsam und solidarisch zu lösen gilt. In dieser Form der Stadtteilpolitik arbeiten wir zur Zeit zum Thema Wohnraum, woran sich unsere Ziele vielleicht ein bisschen konkreter fassen lassen: Kurzfristig ist unser Ziel, auf die Problematik, die aus der Spekulation und Vermarktung mit und von Wohnraum entsteht, aufmerksam zu machen, andere Betroffene kennenlernen und uns lokal zu vernetzen. Mittelfristig wollen wir Teil einer Organisierung sein, die eigene Strategien zur Verbesserung der Mieter*innensituation, aber auch politische Strategien wie beispielsweise die Verhinderung von Zwangsräumungen entwickelt und umsetzbar gemacht hat. Langfristig ist das Ziel die Vernetzung solcher Organisationen und schließlich die Enteignung von Wohnraumkonzernen, um gemeinschaftlich und kommunal, solidarisch Wohnraum zu verwalten. Wohnraum ist hier nur ein zwar durchaus sehr relevantes Beispiel, das ganze lässt sich jedoch auf jegliche Bereiche des Zusammenlebens beziehen.
Und wie wollt ihr diese Ziele erreichen?
Layla: Indem wir lokal verankert gute und verlässliche Politik machen. Wir wollen renitent und widerständig sein und hoffen im Laufe der Zeit mehr Mitstreiter*innen zu finden. Längerfristig schwebt mir auch eine Organisierung bzw. Vernetzung mit anderen Strukturen (außerhalb von Kiel) vor, um einen größeren Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und darüber hinaus auch mehr Wirkmächtigkeit zu entfalten.
Paul: Ich glaube als erstes müssen wir überzeugt von unseren Ideen und Zielen sein und dann können wir auch andere Leute davon überzeugen. Selbstbewusst das Gespräch suchen oder sich einmischen und sagen “Ja, ich bin Revolutionär*in, Anarchist*in, Kommunist*in und die kapitalistischen und patriarchalen Strukturen in denen wir leben, sind der letzte Scheiß, deshalb müssen wir diese Verhältnisse überwinden.” Und diese Überzeugung nicht berechnend und robotermäßig mit lang ausgeführten Zitaten revolutionärer Denker_innen rüberbringen, sondern mit der Empathie, die wir in unserer gemeinsamen politischen Praxis entwickelt haben und dem Selbstbewusstsein, dass wir das Richtige tun.
Ihr kommt – wie Euer Name ja schon verrät – aus Kiel. Ist dies auch der Bezugspunkt für Eure Arbeit, oder wollt Ihr wo anders Politik machen: Bundesweit, international, oder doch lieber nur im Stadtteil?
Shawn: Ich möchte lokal aktiv sein. Meine Lebenssituation und meine politischen Erfahrungen (und nicht zuletzt mittlerweile auch ökologische Bedenken) haben mich Abstand nehmen lassen vom (durchaus netten) internationalen Event-Hopping. Dabei finde ich nicht immer den eigenen Stadtteil am geeignetsten dafür.
Layla: Da kann ich mich Shawn anschließen, würde aber noch ergänzen, dass ich es punktuell auch für sinnvoll halte gewisse bundesweite Mobilisierungen zu unterstützen. Meine Erfahrung ist, dass dies nicht der Schwerpunkt der Arbeit einer eher kleinen Struktur sein sollte, aber dennoch richtige Sogwirkung entfalten kann, wenn mensch sich etwa mit Infoveranstaltungen, Vorbereitungstreffen und einer gemeinsamen Anreise an großen Events wie z.B. den Protesten gegen die Castortransporte im Wendland oder den G20-Gipfel in Hamburg beteiligt. Manchmal ist es eben auch gut zu erleben, dass nicht nur hunderte, sondern auch (hundert-)tausende Menschen auf die Straße gehen, um für ihre Sache einzustehen.
Ronja: Allgemeiner gesprochen lässt sich vielleicht sagen, dass wir dort Politik machen wollen, wo Widersprüche sichtbar werden. Ob dies vor der eigenen Haustür ist, beispielsweise im Kampf gegen steigende Mieten und sinkende Löhne, bundesweit, z.B. in der antirassistischen Bewegung, oder gar international. Wir wollen also dort aktiv werden, wo die Absurdität und der ausbeuterische und menschenunwürdige Charakter dieses Systems sichtbar und angreifbar werden – das ganze soll aber immer lokal verankert sein.
Bereits aus Euren Antworten zur Organisierungsfrage klang ja heraus, dass Ihr es für notwendig haltet Euch mit anderen zusammenzuschließen und gemeinsam Kämpfe zu führen. Wer wären denn eure Mitstreiter*innen, also mit wem wollt ihr diese Politik machen?
Paul: Wir sind uns einig darin, dass eine radikale Linke natürlich nicht in irgendeiner Form außerhalb der Gesellschaft steht, sondern wir ein Teil von ihr sind und diese auch verändern wollen/müssen. Da ist ein erster Schritt zu schauen, was verbindet uns mit den “anderen” und da kommen wir natürlich auf gesellschaftsstrukturierende Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse. Ich muss genauso meine Arbeitskraft verkaufen wie der 50jährige deutsche Eckkneipenbesucher oder die türkische Masterstudentin. Ein Großteil der Frauen* sind mit patriarchaler Gewalt konfrontiert, unabhängig von Alter, Bildung oder Herkunft. Es geht darum diese gemeinsamen Erfahrungen und Positionen aufzuzeigen und daraus gemeinsame Kämpfe zu entwickeln und damit auch eine Erzählung zurückzudrängen, die Gesellschaft auf Individualität und Lebensstile reduziert.
Layla: Sicher wird die klassische Bündnisarbeit auch weiterhin ein wichtiger Part in unserer Arbeit sein. In diesem Rahmen arbeiten wir (meist kampagnen- oder projektbezogen) oft mit anderen (linksradikalen) Strukturen oder gesellschaftspolitischen Organisationen wie Gewerkschaften, manchmal auch Parteien, oder NGO‘s zusammen. Zudem wollen wir mit PSK versuchen uns mehr lokal zu verankern und erreichen, dass im besten Fall auch unsere Nachbar_innen etwa bei der Wohnraumfrage, oder der*die Gemüsehändler*in von der Ecke im Kampf gegen den Naziladen im Viertel unsere Mitstreiter*innen werden.
Ronja: Und ganz konkret wollen wir in unserem Projekt mit denen Politik machen, die sich unserem Grundverständnis, unseren Zielen und unseren Gedanken anschließen, diese weiterdenken und diskutieren wollen und die für eine solidarische Welt kämpfen (wollen). Als Projekt sind wir tendenziell offen und freuen und über Genoss*innen, die sich mit uns organisieren wollen.
In den vergangenen Jahren wurde und wird in der radikalen Linken ja eine ausführliche Debatte um eine notwendige Neuausrichtung linksradikaler Politik und der Frage der Basisorgansierung geführt, auf die Ihr ja auch immer mal wieder Bezug genommen habt. Könnt Ihr noch einmal versuchen zu formulieren, was jetzt das „neue“ an eurem Projekt ist?
Chris: Neu war für uns der Ansatz, sich die Zeit für grundlegende Debatten zu nehmen und sich dafür etwas aus lokalen Strukturen zurückzuziehen. Ebenso neu ist, wie schon erwähnt, eine längerfristige Zielsetzung zu haben und die bisherige Kampagnen-Politik damit auch in Frage zu stellen. Nicht verschweigen wollen wir dabei, dass es schon zu Diskussionen darüber kam, wie “neu” das jetzt sein soll. Ein Teil möchte sich fokussierter der Basisarbeit widmen und sich stärker von der bisherigen Politik verabschieden, ein anderer Teil möchte den Spagat zwischen alter und neuer Politik probieren, auch aufgrund der positiven Seiten eben jener bisherigen, alten Politik. Wie die Praxis aussieht, die wir daraus ableiten, das wird die Zeit zeigen. Daran wird sich das Projekt aber auch messen lassen müssen.
Pelle: Das “Neue” ist für mich derzeit der Versuch, bei allem, was wir tun, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Das heißt, nicht als erstes etwas zu machen, weil wir das immer so gemacht haben oder eine politisch manchmal ganz schön wirre Szene das so erwartet, sondern zu versuchen, von unserem Klassenstandpunkt auszugehen. D.h. zu fragen, was Schritte sein könnten, um die Lebenssituation meiner Nachbar*innen, meiner Freund*innen und von mir selbst real zu verbessern. Dabei ist zweitrangig, ob wir am Ende auf eine gewohnte oder neue Praxis zurückgreifen.
So, und zum Abschluss noch einmal die spannendste Frage: Warum dieser Name?
Paul: Ich glaube, dass die Erfahrung der Solidarität eine ungeheure Sprengkraft für das System besitzen kann. Wenn wir nicht mehr alleine den Angriffen des Systems durch Chef*innen, Jobcenter, Vermieter*innen, Ausländerbehörde oder anderen Repressionsapparaten ausgesetzt sind, sondern uns zusammen zur Wehr setzen, verlieren wir die Angst, entdecken das Gemeinsame und gewinnen die Würde zurück, die uns das System tagtäglich nimmt. Bini Adamczak hat geschrieben, dass wir unsere Beziehungsweisen ändern müssen, von der Ebene der Subjekte bis zur Produktions- und Reproduktionsweise. Die Solidarität ist diese Beziehungsweise, die anstelle der kapitalistischen Konkurrenz und des Haun und Stechens der bürgerlichen Gesellschaft treten muss. Solidarität ist somit sowohl ein konkreter Moment im hier und jetzt, als auch die Perspektive, um alles zu verändern.
Layla: Ja die Namensfindung ist ja immer kein ganz einfaches Projekt. Uns war es wichtig einen Namen zu finden, der sofort klar macht, wofür wir stehen und was wir wollen. Auch für Menschen, die noch keine größeren Berührungspunkte mit linksradikalen Bewegungen gemacht haben und dann zum Beispiel irgendwann einmal ein Flugblatt von uns in der Hand halten. Ich finde an dem Namen auch die Vielschichtigkeit wunderschön: Solidarität als Wegweiser und Orientierungspunkt für unser Handeln im Hier und Jetzt und die Perspektive einer solidarischen Gesellschaft als unser gemeinsames Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Pelle: PSK ist ein cooles Kürzel!