Samstag, 1.Mai | Platz der Kieler Matrosen | 12.30 Uhr
Seit über einem Jahr hangeln wir uns nun schon mehr schlecht als recht durch die Covid-19-Pandemie und trotz der rasanten Entwicklung von Impfstoffen ist noch immer kein Ende in Sicht. Über 70.000 Menschen sind mittlerweile allein hierzulande in Folge einer Corona-Erkrankung gestorben. Das Virus ist mehrmals mutiert und gefährlicher denn je, die dritte Welle ist im vollen Gange. Viele von uns haben Jobs verloren, müssen mit Kurzarbeiter*innengeld überleben oder sich auf der Arbeit und auf dem Weg dorthin der lebensgefährlichen Ansteckungsgefahr aussetzen. Gleichzeitig sind wir nahezu sämtlicher Freuden des Alltags beraubt und von unseren Freund*innen und Familien weitestgehend isoliert. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Verlauf der Pandemie und seine fatalen sozialen Auswirkungen hätten abgekürzt und abgemildert werden können. Dazu hätten die Regierenden in den zurückliegenden Monaten jedoch nicht der Logik der planlosen Marktwirtschaft, sondern den Erfordernissen eines konsequenten Gesundheitsschutzes bei voller sozialer Absicherung für Alle folgen müssen.
Das Problem heißt Kapitalismus – die Reichen sollen die Krise bezahlen!
Einmal mehr hat die Krise deutlich gemacht: Auf die Regierenden ist kein Verlass, wenn es um unsere Leben und Existenzen geht. Ihr Auftrag ist es, die reibungslose Anhäufung von Gewinnen für die Eigentümer*innen zu gewährleisten, alles weitere ist bestenfalls Kosmetik. Dass die herrschende Politik kein neutraler Ringrichter, sondern in die menschenfeindlichen Geschäfte dieses Wirtschaftssystems selbst tief verstrickt ist, haben die zahlreichen Korruptionsfälle im Zusammenhang mit Corona bei Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitgliedern offen gelegt: Mit profitablen Maskendeals oder der Deckelung der katastrophalen Hygiene- und Ausbeutungsbedingungen in Großschlachtereien wurde kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet.
Wenn Profite mehr Wert sind als Menschenleben, müssen wir das System und die bestehenden Eigentums- und Vermögensverhältnisse grundlegend verändern. Dafür müssen wir uns unten zusammentun und gesellschaftliche und politische Gegenmacht organisieren. Wir wollen die Enteignung der Krisenprofiteur*innen und die Umverteilung ihrer Gewinne an diejenigen, die nach einem Jahr Pandemie am Rande ihrer Existenz stehen oder sie längst verloren haben. Die Diktatur des Marktes hat uns im Zusammenhang mit Corona abermals in Chaos und Unsicherheit gestürzt. Als Lehre daraus streben wir die umgehende Vergesellschaftung sämtlicher gesellschaftsrelevanter Dienstleitungen, Ressourcen und Industrien und die Überführung in demokratische Verwaltung an: Wohnraum, Gesundheit, Pflege, Versorgung und Bildung sind keine Waren, sondern müssen den Menschen dienen und nicht dem Profitstreben! Darum wollen wir, dass die Firmen denen gehören die darin arbeiten, die Häuser denen die darin wohnen. Kurz: Dass alle gesellschaftsrelevanten Dinge allen zu Gute kommen. Ein erster dringlicher Schritt ist die sofortige Freigabe aller Patente auf Impfstoffe. Kaum ein anderes Beispiel verdeutlicht mehr, wie sehr der kapitalistische Markt in seinem Normalbetrieb über Leichen geht und Klassenherrschaft im globalen Maßstab produziert, wie das perfide Ringen um die Verteilung von künstlich verknappten Impfstoffen.
Die Krise trifft nicht alle gleich
Dass der pandemische Ausnahmezustand nicht alle gleich trifft, behauptet mittlerweile selbst die liberale Öffentlichkeit zu wissen. Die Krise ist ein Lehrstück zur Aktualität der Klassengesellschaft in der BRD. Pfleger*innen, Erzieher*innen, Verkäufer*innen, Lehrer*innen und Arbeiter*innen im Logistik- und Transportsektor oder der Lebensmittelindustrie kamen vielerorts kaum zum Durchatmen. In diesen Berufen, allesamt nicht zufällig überproportional weiblich und/oder migrantisch geprägt bzw. von rassifizierten Personen ausgeübt, setzten die Beschäftigten täglich ihre Gesundheit aufs Spiel, um das Nötigste, was eine Gesellschaft zum Überleben braucht, sicherzustellen. Dem bürgerlichen Dogma zufolge, demnach diejenigen, die nur hart genug arbeiten, es auch zu verdientem Wohlstand bringen würden, hätten sich die Vermögensverhältnisse spätestens innerhalb des letzten Jahres also auf den Kopf stellen müssen. Dies geschah – oh Wunder – jedoch nicht. Für die gesellschaftsrelevanten Lohnabhängigen gab es außer selbstverliebtem Applaus von hohen Balkonen aber nicht viel mehr als den üblichen Lohn, von dem heutzutage bei Vielen allein die Hälfte für die Miete draufgeht. Insbesondere Frauen waren zudem von der Zurückverlagerung der Erziehungs- und Sorgearbeit in den privaten Raum betroffen. Ihre Doppelbelastung durch unbezahlte Arbeit nahm durch die Schließung von Schulen, Kitas und öffentliche Fürsorgeeinrichtungen drastisch zu und droht die Kämpfe um gleichberechtigte Geschlechterverhältnisse um Jahrzehnte zurückzuwerfen.
Von der Krise profitiert haben aber, wie so oft, andere: Die Reichen und die Großkonzerne, allen voran die Großkapitalist*innen aus dem Einzelhandel und der durch Steuermilliarden subventionierten Automobil- und Pharmaindustrie, konnten ihre Milliardenvermögen abermals steigern. Die persönlich benennbaren Profiteur*innen der Pandemie hören auf Namen wie Quandt, Albrecht, Klatten, Schwarz, Hopp oder Werkzeug-Würth. Und während ein allgemeiner sofortiger Mietenstopp ab Beginn der Pandemie die Existenznöte der Vielen von vornherein hätte abfedern können, wurden Mieter*innen und kleine Gewerbetreibende ihrem Schicksal im Kapitalismus überlassen. Mietschulden stellen hier noch das kleinere Übel dar, die reale Gefahr, ganz einfach auf der Straße zu landen, wächst ständig. Wohnungskonzerne wie Vonovia hingegen streichen trotz oder gerade wegen der Krise satte Gewinne ein.
Haben und Nichthaben
Wie unfähig und unwillens der Markt und seine politischen Hüter*innen sind, auf eine Menschheitsherausforderung wie die gegenwärtige Pandemie zu reagieren, zeigt sich ein Jahr nach ihrem Ausbruch drastischer denn je. Während ein Großteil dessen, was das Leben lebenswert macht, sich für die Mehrheit der Bevölkerung ohne Villa mit großem Garten seit über einem Jahr mehr oder weniger im Dauerlockdown befindet, stand kein einziges Fließband der Großindustrie still. Die Möglichkeit ins Homeoffice zu wechseln, hatten nur um die 30% der Lohnabhängigen. Die größte Corona-Party stieg und steigt durchgehend im Betrieb und auf dem Weg dorthin und wurde nicht polizeilich aufgelöst.
Ungeachtet dessen wird die Verantwortung für die weiterhin ungebrochene Ausbreitung des Virus vorrangig armen Menschen zugeschoben – auch in Kiel. Statistiken zufolge gehören die von Verarmung stark betroffenen Stadtteile Gaarden und Mettenhof zu den lokalen Corona-Hotspots. Dass dieser Fakt durch beengte Wohnverhältnisse, Bevölkerungsdichte und berufliche Tätigkeiten weitaus besser zu erklären ist, als durch die vermeintliche Verantwortungslosigkeit der Stadtteilbewohner*innen, liegt auf der Hand. Dass bereits die Versorgung mit ausreichend Masken für manch Gaardener*in zum finanziellen Kraftakt verkommen ist, ist Realität. Natürlich wusste die Provinzpresse die besondere Corona-Gefährdung in Gaarden jedoch damit zu begründen, dass die Maskenpflicht am Vinetaplatz angeblich „oft ignoriert“ würde. Anwohner*innen können dies nicht bestätigen, Lokalpolitiker*innen schrien nichtsdestotrotz umgehend nach noch mehr Kontrolle und Repression. Die Stigmatisierung der Armen war schon immer eine ideologische Waffe der herrschenden Klassen, um die tatsächlichen Ursachen sozialer Missstände zu verschleiern.
Dabei ist völlig klar: Der Lockdown wurde auf dem Rücken der kleinen Leute und der weniger kapitalstarken Branchen ohne mächtige Lobby inszeniert und die größten Ansteckungsherde wider besseren Wissens ausgespart. Forderungen nach einem befristeten, aber konsequenten Lockdown der gesamten Wirtschaft, um die Pandemie endlich unter Kontrolle zu bringen, blieben in der Debatte Positionen, die sich gegen die z.B. im Bund der Industriellen organisierten und propagierten Kapitalinteressen nicht durchsetzen konnten.
Als Klasse kämpfen lernen
Um die Macht des Eigentums zu brechen, werden moralische Appelle nicht genügen. Wir werden Umverteilung und Enteignung mit harten Bandagen durchsetzen müssen. Dies erfordert Organisation und Selbstbewusstsein, die wir als Klasse der Ausgebeuteten und Unterdrückten vielerorts erst wieder erlangen müssen. Das Klischee des weißen männlichen Industriearbeiters als Sinnbild unserer Klasse war schon immer nur ein Teil ihrer Realität und trifft im globalisierten Kapitalismus weniger denn je zu. Uns eint, dass wir zu der großen Mehrheit gehören, die gezwungen ist zu arbeiten, damit andere reich werden. Nicht die Tätigkeit macht uns zu Arbeiter*innen, sondern unsere Betroffenheit durch Ausbeutung – und deren Ausmaß hängt strukturell erheblich auch von Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe ab. Wir müssen uns frei machen von den ideologischen Lügenmärchen der bürgerlichen Gesellschaft, um uns in unserer gesamten Vielfalt darauf zu verständigen, wie wir zusammen leben, arbeiten und kämpfen wollen. Auf keinen Fall wollen wir zurück zur Normalität vor Corona, denn diese hat die katastrophalen Zustände, die uns umgeben, erst hervorgebracht. Es ist höchste Zeit, die Weichen zu stellen für ein Leben in Solidarität und Würde weltweit – und ein solches können wir nur verwirklichen, wenn wir den Kapitalismus zerstören. Mit dieser Botschaft werden wir uns am 1. Mai 2021, dem internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse, auch in Kiel die Straßen erobern – das steht fest. In welcher Form genau das geschieht, werden wir dem Ausmaß des Infektionsgeschehens anpassen. Achtet auf aktuelle Ankündigungen!
Für ein Ende aller Krisen – Kapitalismus abschaffen!
Kieler Bündnis gegen Corona und Kapitalismus | gegencoronakapitalismus.noblogs.org