1. Mai 2020: Auf der Straße trotz und wegen Corona

Handgezählte 50 genehmigte Teilnehmer*innen plus etwa 200 solidarische Zuschauer*innen versammelten sich am Freitagmittag bei durchwachsenem Wetter zur 1. Mai-Bündniskundgebung am internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse unter dem Motto Krise? Nicht auf unsere Kosten! – 1. Mai Kundgebung Kiel auf dem Platz der Matrosen am Hauptbahnhof. Die eineinhalbstündige Aktion, die als Reaktion auf die bedauerliche Komplettabsage der traditionellen Gewerkschaftsdemo in diesem Jahr kurzfristig von linken Gruppen und Organisationen initiiert wurde, wurde in Zeiten der Corona-Pandemie unter Einhaltung der Abstandsmaßgaben durchgeführt, die Teilnehmer*innen trugen zudem Mundschutze. Einige Teilnehmer*innen nutzten den Weg zur Kundgebung zudem zum politischen Ausdruck als kleine Fahraddemo oder Autokorso.

Der inhaltliche Charakter der Kundgebung war klar antikapitalistisch. In Redebeiträgen der SDAJ Kiel, von Perspektive Solidarität Kiel (PSK), der Linksjugend Solid Kiel, der DKP Kiel, des Roten Kollektiv Kiel, der Roten Hilfe, von DIDF sowie von Gaarden solidarisch gegen Corona – Das Solidaritäts- und Hilfsnetzwerk wurde z.B. zum Widerstand gegen die zu erwartenden Angriffe auf die Lohnabhängigen nach Corona, zur Verteidigung der außer Kraft gesetzten Grundrechte und zur Alltagssolidarität aufgerufen, die Evakuierung der Geflüchtetenlager an den EU-Außengrenzen und die Vergesellschaftung des Pflege- und Gesundheitssektors gefordert. Einigkeit bestand auch darin, dass die Corona-Krise einmal mehr den menschenverachtenden Charakter des Kapitalismus unter Beweis stellt, der die Herbeiführung sozialistischer Gesellschaftsmodelle nötiger denn je erscheinen lässt. Solange jedoch muss die Devise lauten: Die Reichen sollen die Krise bezahlen!

Im Anschluss führten einige Aktivist*innen vier weitere kleine Kundgebungen im Stadtteil Gaarden durch. Am Ernst-Busch-Platz, Alfons-Jonas-Platz, Vinetaplatz und in der Iltisstraße gab es Redebeiträge zu Wohnraum, Pflege, Arbeit und der Situation von Geflüchteten in der Corona-Krise. Desweiteren wurde Gaarden solidarisch gegen Corona und die Mieter*inneninitiative Mietwucher vorgestellt sowie zur Krachmachen-Aktion gegen die Abwälzung der Krisenlasten von oben nach unten am selben Abend mobilisiert.

An dieser beteiligten sich pünktlich um 19.55 Uhr zahlreiche Menschen an Fenstern, auf Balkonen, auf der Straße und auf Häuserdächern. Insbesondere in der Iltisstraße und am Vinetaplatz wurde es einige Minuten mächtig laut: Raketen schossen in den Abendhimmel, Böller krachten, Kochtöpfe klimperten, die Intenationale schallte durch die Straße, Fahnen wurden geschwenktt und sogar eine Querflöte konnte vernommen werden. Als alles schon vorbei war, kurvten ein paar Polizeigefährte irritiert durch den Stadtteil.

Die gestrigen Initiativen zum 1. Mai in Kiel haben abermals gezeigt, dass die verantwortungsvolle Durchführung von dringend nötigen politischen Demonstrationen auch im Ausnahmezustand möglich ist. Dem verlässlichen Zusammenspiel der beteiligten Strukturen ist es zu verdanken, dass der Ablauf reibungslos verlief und die inhaltliche Stoßrichtung dem Ernst der gesellschaftlichen Sitution angemessen gewesen ist. Darauf sollte auch in den kommenden Wochen aufgebaut werden, um als gemeinsam agierende Linke auf die bevorstehenden massiven politischen und sozialen Herausforderungen vorbereitet zu sein.

„Damit ist die Situation vielleicht nicht offen, aber sie offenbart, dass der Kapitalismus immer weniger in der Lage ist; die eigenen Widersprüche zu vertuschen. Wenn Krankenhäuser schlecht ausgestattet sind, wenn Menschen trotz Lebensgefahr zur Arbeit müssen, während sich alle anderen zuhause isolieren sollen, wenn die gesellschaftserhaltenden Arbeiten am geringsten oder gar nicht entlohnt werden, zeigt sich deutlich, dass für dieses System die Profite und nicht Menschen zählen. Und damit offenbart sich auch, dass es ein anderes System braucht, in dem wir nicht zur Arbeit gehen müssen, wenn das zu Lasten der Gesundheit geht, in dem wir keine Miete zahlen müssen, wenn wir sie nicht haben, ein System in dem Care-Arbeit gleichmäßig auf alle Schultern verteilt ist und in dem wir keine Angst vor dem Alleinsein haben müssen. Vielleicht ist das Fenster der Möglichkeiten aktuell nicht offen, aber wir können genug Kraft entwickeln, um es einzuschlagen.“ (PSK)